Auf das Leben – Ein Besuch im Young Arts Neukölln

Bildnachweis: © Young Arts Neukölln

Unweit des Stadtbads Neukölln in der Donaustr. 42 befindet sich das Young Arts Neukölln, „ein künstlerischer Aktionsraum für Kinder, Jugendliche und Communities“. Hier im alten Telegrafenamt ist seit 2013 die Jugendkunstschule Neukölln untergebracht. In Kursen und Workshops mit Schulklassen, Offenen Ateliers, AGs, Projekten und Ferienkursen wird ein vielseitiges Programm angeboten. Es reicht von Malerei über plastisches Gestalten und Bildhauerei, Comic-Zeichnen und Graphic Novel bis hin zu Gaming und Virtual Reality, Performance, Tanz, Film, Sound- und Videokunst. Neben der Jugendkunstschule ist das Young Arts Neukölln damit an insgesamt vier Standorten im Bezirk künstlerisch und kunstpädagogisch aktiv. Vormittags leiten Künstler*innen Projekte an Schulen und nachmittags an vier Tagen von 16-18 Uhr die offenen Ateliers. Alle Angebote sind kostenlos und wer will kann einfach vorbeikommen. Es geht um Teilhabe und darum, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich im künstlerischen Gestalten selbst zu begreifen.

Zudem gibt es das standortübergreifende Schwesternprojekt Young Arts Diversity (ehemals Werkstatt Diversität), welches von Can Mileva Rastovic geleitet wird. Unter dem Motto „In welchen Systemen bewegen wir uns? Wie wollen wir leben und gestalten?“ entwickeln die beteiligten Künstler*innen mit jungen Menschen kreative Projekte rund um das Thema Kunst und Antidiskiminierung in Neukölln. Angebote in den offenen Ateliers am Standort Donaustr. sind z.B. das Atelier QUEER KOSTÜM DESIGN oder die VIRTUAL-REALITY-Werkstatt, in der mit schnell erlernbarer Technik, intuitiv eigene digitale Avatare, Charaktere und Fantasywelten zum Leben erweckt werden können. Ende Februar startete zudem das Tanzprojekt RECLAIMING SPACE! für alle von 10-18 Jahren.
Im Rahmen des Projektes Young Arts Diversity finden auch praxisnahe Weiterbildungen von Pädagog*innen, Künstler*innen und Kunstvermittler*innen für eine diversitätskritische, künstlerisch-edukative Arbeit mit Kindern und jungen Menschen statt. In Projektwochen mit Neuköllner Schulen werden zu verschiedenen Themenschwerpunkten wie z.B. „Gender, Gender? “, „Virtual Reality“ und „Was kann Widerstand? – 1933–1945 und Widerstand heute“ gemeinsam mit Lehrer*innen und Kunstvermittler*innen durchgeführt. 

Der ursprünglich als zentraler Ort des Netzwerkes Kinder-Eltern-Bildung angelegte Standort hat sich inzwischen zu einem vom Kulturnetzwerk Neukölln e.V. getragenen Projekt entwickelt, in dem allen Kindern und Jugendlichen kulturelle Bildung zugänglich gemacht wird. 
„Anfangs war das Konzept, sehr, sehr viel Schulprojektarbeit zu machen, um möglichst viele Kinder zu erreichen. Das machen wir immer noch viel, inzwischen konzentriert sich unsere Arbeit an den Schulen, aber hauptsächlich auf Projekttage und -wochen mit Schulen, an denen viele Kinder aus sozial benachteiligten Familien lernen.“ erzählt Christopher Vogl, der die Jungendkunstschule leitet. Vogl kommt aus ursprünglich aus Bayern, wo er auch die Ausbildung zum Filmlehrer gemacht hat. Er ist Lehrer an der Alfred-Nobel-Schule (ISS). Seit 2017 leitet er auch die Jugendkunstschule Neukölln, die Trickfilmwerkstatt sowie die AG Digitale Welten mit Augmented Reality für Schüler*innen des Albert-Einstein-Gymnasiums. 

„Ich finde, die Offenen Ateliers sind das tollste Angebot für Kinder und Jugendliche, weil es so vielfältig und frei ist. Mein momentanes Lieblingsprojekt ist die Unterstützung bei dem großen antirassistischen und diskriminierungssensiblen Schulentwicklungsprojekt Vision*bewegt Schule , bei dem mit Mitteln der kulturellen Bildung ein Empowerment und eine Sensibilisierung von jungen Menschen unternommen wird. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Alfred-Nobel-Schule, der Jugendkunstschule und dem Verein Young Arts Neukölln e.V.“, erzählt Vogl.

Foto © Can Mileva Rastovic

Ein Dienstagnachmittag in der Trickfilm-Werkstatt. Nach und nach treffen die Kinder ein; Christopher Vogl begrüßt jedes einzeln und wechselt ein paar Worte. Die Kinder lassen sich an den Tischen nieder und beginnen sofort ihre Ideen umzusetzen. Die meisten kneten Figuren, einige zeichnen, andere fotografieren bereits am Tricktisch. Es herrscht eine sehr familiäre und entspannte, aber trotzdem konzentrierte Atmosphäre. Bei Bedarf leistet Christopher Hilfestellung und beantwortet Fragen. Wer Inspiration braucht, kann in Büchern und Magazinen stöbern oder sich von Christopher ein paar Trickfilme aus dem Archiv zeigen lassen, die hier entstanden sind. „Mit der Technik gibt es sozusagen schon mal einen Rahmen zum Thema, der auf eine Art anregend ist. Toll ist es, wenn es so ist wie jetzt gerade – nämlich, dass die Kinder wissen, was sie machen wollen und es einfach umsetzen. Das funktioniert meistens relativ gut. “

„Die Schulklassen, die bei uns die Projekttage dienstags/mittwochs und freitags buchen, haben ebenfalls die Möglichkeit, in kleinen Gruppen mit professionellen Künstler*innen zu arbeiten. So gute Bedingungen können Schulen nicht leisten. Wir haben einen relativ guten Kontakt zu Schulen und auch etliche AGs mit Kooperationsschulen. Insgesamt sind es um die zehn Schulen mit denen wir regelmäßig etwas machen. Auch hier arbeiten wir in kleinen Gruppen mit 6-10 Jugendlichen pro Künstler*in. Die Begegnung mit praktizierenden Künstler*innen, die außerhalb des Schulsystems stehen, ist wertvoll und erweitert den Horizont. Dadurch, dass wir mit der besonderen Förderung der künstlerischen Neigungen durch das Schulgesetz §124* beauftragt sind, sind wir auch besser mit künstlerischen Materialien ausgestattet als die Regelschulen. Das heißt, unsere Kinder und Jugendlichen bekommen eine Art Extraförderung. Wir bieten verschiedene Projekte und Formate für Schulen an wie z.B. einen Trickfilm-Workshop, Malen nach Musik etc.“ Eine Übersicht aller Projektformate und Angebote für Schulen finden sich unter: https://youngarts-donaustrasse.de/donaustrasse/projekte

Auszug Berliner Schulgesetz §124

Die Jugendkunstschulen haben die Aufgabe, die chancengerechte Entwicklung der künstlerischen, kreativen, kulturellen und sozialen Kompetenz von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Sie nehmen Aufgaben der unterrichtlichen, außerunterrichtlichen und außerschulischen Kunsterziehung und der künstlerischen Bildung und Weiterbildung wahr und kooperieren mit den allgemein bildenden Schulen und mit anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen. Die für die Jugendkunstschulen zuständige Senatsverwaltung erlässt die erforderlichen Verwaltungsvorschriften. Sie entwickelt gemeinsame Qualitätsstandards für die Jugendkunstschulen.

Schulgesetz für das Land Berlin (Schulgesetz – SchulG) vom 26. Januar 2004


Ein Mädchen, das letztes Jahr mit ihrer Mutter aus der Ukraine geflohen ist und seit einigen Wochen in die Trickfilmwerkstatt kommt, erzählt, wie sie sich bereits in der Schule überlegt hat, was sie heute für einen Film machen möchte. Ede und Vincent, kommen seit vier Jahren jede Woche. Die beiden 11 Jährigen haben sich im Young Arts kennengelernt und schnell festgestellt, dass sie den selben Humor teilen. Seitdem machen sie als Duo Trickfilme wie zum Beispiel „Die Größte Rotze der Welt“. Meist stellen die Kinder einen Film  an einem Nachmittag fertig, gelegentlich arbeiten sie aber auch 3-4 Wochen an ihren Projekten. Vor allem Knetanimationen, Legetrick und manchmal Pixilation sind gefragt. „Die Kinder machen, was ihnen halt so einfällt und wissen manchmal auch schon, wie es aussehen soll.“ erzählt Christopher. Heute ist nur eine kleine Gruppe an Kindern da. „Die Beschränkungen, die die Pandemie mit sich brachte, waren für den Trickfilm-Kurs dramatisch. Vor Corona gab es eine richtig lebendige Community mit 15 bis 20 Kindern, die jahrelang kamen und sich gegenseitig auch immer ihre Arbeiten gezeigt haben. Während Corona musste ich denen, die nicht regelmäßig kamen, sozusagen absagen, weil es zu wenig Platz gab. Als wir wieder ohne Beschränkungen öffnen konnten, saß ich manchmal nur mir ein oder zwei Kindern da. Jetzt erholt es sich gerade ein bisschen. Letzte Woche waren sieben, vorletzte Woche fünf Kinder da.“ 

Karl, der an der offenen Werkstatt „Film & Videoinstallation“ teilnimmt, die heute wegen der Berlinale leider ausfällt, kommt, um allein an seinem Film weiterzuarbeiten und kann sich dafür in ein freies Atelier zurückziehen. In Ute Vauk-Ogawas Skulpturenwerkstatt entstehen parallel Tiere und Köpfe aus Papier, Alufolie, Draht und Gips, während in dem Atelier von Helena Hernandez gerade genäht, gemalt und gezeichnet wird. Zwischendrin gibt es Kekse und Tee für alle. In den Gängen lassen sich die Werke verschiedener Schulprojekte betrachten. Jede dieser kleinen Ausstellungen erzählt viel über den Blick der Kinder und Jugendlichen auf sich selbst, ihre Umwelt und das Potenzial der Fantasie. Zum Abschluss zeigen mir Christopher und die Kinder noch eine Auswahl an Trickfilmen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Ich bin beeindruckt vom Witz, Ideenreichtum und der technischen Umsetzung der Filme. Am liebsten möchte ich bleiben und weiter zuschauen, wie Figuren, Geschichten, Welten und Werke entstehen und oder eingerissen werden.

„Vor allem die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Sich selbst eine Aufgabe zu stellen und diese dann mit der Hilfe von Künstler*innen umsetzen zu können, ist das große Geschenk an unserer Jugendkunstschule“, antwortet Christopher auf meine Frage, welchen Effekt das künstlerische Arbeiten und Forschen auf die Kinder und Jugendlichen nach seiner Beobachtung hat. Er wünscht sich, „dass das Young Arts ein lebendiger Ort der Begegnung von Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen Hintergründen bleibt, an dem sie Kunst in vielen Spielarten erleben können und lernen selbst kreativ zu schaffen. Das hängt natürlich ganz an der Finanzierung durch den Bezirk.“

© Stephanie Piehl
© Stephanie Piehl
© Stephanie Piehl
© Stephanie Piehl
© Stephanie Piehl
© Young Arts Neukölln
© Stephanie Piehl
© Young Arts Neukölln
© Young Arts Neukölln
© Young Arts Neukölln
© Young Arts Neukölln

Das Young Arts Neukölln ist eine Kooperation zwischen dem Bezirksamt Neukölln (Fachbereich Kultur), dem Kulturnetzwerk Neukölln e.V. und der Jugendkunstschule Neukölln. Gefördert wird das Projekt durch den Netzwerkfonds im Programm Soziale Stadt.

KONTAKT
Young Arts Donaustraße
Donaustraße 42, 12043 Berlin
youngarts-donaustrasse.de



OFFENE ATELIERS

Montags 16-18 Uhr

QUEER KOSTÜM DESIGN
Neue Wesen, Kreaturen, Körper, Identitäten und Gender ausdenken und gestalten
ab 12 Jahre 

COMIC & MANGA
Analoge und digitale Zeichnungen, Collage, Fotografie
ab 10–16 Jahre

RECLAIMING SPACE! – Tanz
ab 10–18 Jahre 



Dienstags 16-18 Uhr

TRICKFILM
eigene Zeichen-, Stop-Motion-, Knet- und Legetrickfilme machen
ab 8–14 Jahre 

FILM & VIDEOINSTALLATION
Experimente mit verschiedenen filmischen Formaten
ab 12 Jahren 

MALEN & ZEICHNEN
Zeichnen, Drucken, Collagen machen, Nähen, Fotografieren, Basteln etc
ab 6–12 Jahre 

SKULPTUREN & DRUCKTECHNIKEN
Objektebau, Mal- und Drucktechniken
6-13 Jahre nach Anmeldung: anmeldungen@youngarts-nk.de 


Mittwochs 16-18 Uhr

VIDEO GAMES 
Eigene Video Games auf dem Handy gestalten und programmieren
6–18 Jahre 

ZUKUNFTSMUSIK
Experimente mit Beats, Baselines und Harmonien
ab 6–18 Jahre 


Donnerstags 16-18 Uhr

VIRTUAL REALITY
Malen und Gestalten in virtuellen Räumen
ab 12 Jahre 

COMIC & MANGA
Analoge und digitale Zeichnungen, Collage, Fotografie
ab 10–16 Jahre 


KUNSTGELD NEUKÖLLN

Der Fachbereich Kultur des Bezirksamts vergibt übrigens Materialzuschüssen bis zu 100 EUR für Kunstprojekte an junge Neuköllner Künstler*innen zwischen 6-21 Jahre. Der Antrag für das Kunstgeld Neukölln kann entweder online gestellt werden direkt bei der Ansprechpartnerin der Kulturellen Bildung / Kulturförderung Nora Zender unter nora.zender@bezirksamt-neukoelln.de oder telefonisch unter (030) 90239 2814. 

Das Young Arts Neukölln und Nora Zender freuen sich auf deine Ideen und beraten dich gerne, wenn du Hilfe beim Schreiben des Antrags brauchst oder beim Materialeinkauf begleitet werden möchtest.