Empowerment braucht Medienkompetenz – Interview mit dem Meko Neukölln

Bildnachweis: Stephanie Piehl

Das Meko Neukölln ist eines von zwölf Medienkompetenzzentren in Berlin, Teil eines landesweiten Netzwerks und die medienpädagogische Anlaufstelle im Bezirk. Seit Ende 2022 ist es in der Donaustr. 88 A, im Haus des Mädchenzentrums Szenenwechsel untergebracht. Mit einer Vielzahl außerschulischer Angebote und Kooperationen mit Schulen und Einrichtungen möchte das Meko Kinder und Jugendliche fördern selbstbestimmt, kreativ und verantwortungsvoll mit Medien umzugehen. Wir haben uns Ende letzten Jahres mit Julia Keidel und Selma Maglic vom Meko Neukölln zu einem Interview getroffen.

Julia: Es war ein ruhiger Start. Wir hatten bis dato noch keine offizielle Eröffnung des Hauses, wollten aber schon erste kleine Projekte starten und ausprobieren, um zu sehen, wie das so funktioniert. Wir sind dann mit Werkstätten, ein- bis zweimal wöchentlich mit unterschiedlichen Themen gestartet. Das war eine Medien-Schnupper-AG, wo wir jede Woche ein anderes Thema hatten. Einmal ging es um Robotik, die nächsten Male ging es um 3D-Druck und dann um digitale Sticker. Das haben wir jeweils zwei Wochen am Stück gemacht. Einmal waren wir nur für die Gruppe Mädchen* geöffnet, um da noch mal einen Fokus zu setzen.

Vor dem Standort in der Donausstraße hat das Meko ausschließlich in KJFEn und Schulen in Neukölln Projekte durchgeführt. Viele unserer Kooperationen bestanden also schon im Vorfeld. Das Meko als Standort ist quasi on top dazugekommen und soll als „Mutterschiff“ dienen. Wir arbeiten aber auch mit Gemeinschaftsunterkünften, Willkommensklassen und Bibliotheken zusammen. Ein großes Netzwerk aus verschiedenen Aktuer*innen und Initiativen ist für eine nachhaltige und ganzheitliche Medienpädagogik unabdingbar

Julia: Wir sind insbesondere für Familien sichtbarer geworden. Unsere Ferienangebote werden z.B. über den Verteiler vom Sommerferienkalender oder den Neuköllner Veranstaltungskalender angekündigt. Auch über das QM hatten wir bereits Anmeldungen. Wir nehmen auch an bestimmten Aktionstagen teil, wie bei der Langen Nacht der Familien. Da kommen immer mal wieder neue Familien rein und bemerken: „Mensch, ich kannte euch noch gar nicht. Hätte ich euch mal früher entdeckt!“

Selma: Das ist sehr verschieden bei uns. Es kommt auf das Angebot an. Manchmal haben wir Angebote für bestimmte Zielgruppen, wie z.B. eine queere Medienwerkstatt. Wir haben aber auch Angebote, wie die Minetest AG, welches offen für alle ist. Bei manchen Angeboten bitten wir um Anmeldung, manche finden in einer anderen Einrichtung statt.

Julia: Wir würden aber bei einem Angebot mit Anmeldung niemanden wegschicken, wenn die Person spontan dazu kommt. Die Anmeldungen dienen in erster Linie dazu, die Formate gut vorbereiten können und natürlich ist es auch gut zu wissen mit wie viel Teilnehmer*innen wir rechnen können. Wenn wir Projekte in anderen Neuköllner Einrichtungen anbieten, sind diese meist ohne Anmeldung.

Julia: Wir sind vom Jugendamt damit beauftragt von 6 bis 27 Jahren alles abzudecken. Die Teilnehmer*innen sind meist zwischen 8 bis 14 Jahren. Es gibt Angebote für Kinder und Jugendliche. Es gibt Angebote – je nach Kontext, Format oder Thema, die eher ab 14 Jahre aufwärts sind und wir haben Angebote speziell für queere Jugendliche.

Selma: Oftmals kommen die Einrichtungen auf uns zu und sagen, wir wollen ein Gaming- Angebot machen oder ein Projekt zu diesem oder jenem Thema anbieten. Manches geht auch von uns aus – Julia hatte ja die Mintetest AG angestoßen. Durch den geschlechterreflektierenden Fokus kamen wir auf die Idee, eine Queere Medienwerkstatt anzubieten. Die Einrichtungen kommen aber, wie gesagt, meist auf uns zu und wir gucken dann, was wir wie machen und wo wir unseren Schwerpunkt setzen können.

Julia: Das ist für uns natürlich auch sehr spannend. Wenn Einrichtungen mit konkreten Themen auf uns zukommen, ist das Interesse der Jugendlichen dieser Einrichtungen natürlich bereits da. Die Verantwortlichen der Einrichtungen kennen die Interessen und Bedürfnisse ihrer Jugendlichen.

Selma: Bei der Langen Familiennacht zum Beispiel haben wir bemerkt, dass die teilnehmenden Familien von dem Stop-Motion-Angebot, was wir dort gemacht haben, begeistert waren. So ergeben sich manchmal auch aus solchen Veranstaltungen dann andere Formate.

Selma: Ich würde behaupten, dass dies am ehesten bei den Angeboten möglich ist, die über einen längeren Zeitraum laufen. Also die Formate in denen wir auch Beziehungsarbeit leisten können. Ich bin seit Mai 2023 in einem Angebot, wo wir oftmals auch auf den Alltag zuhause oder aktuelle Themen aus Medien eingehen können. In diesem Format können wir einen geschützten Raum schaffen. Es kam aber auch schon mal eine Einrichtung auf uns zu, da es innerhalb der Einrichtung ein Problem mit alltäglichem Rassismus gab und sie etwas dagegen unternehmen wollten.

Selma: Ja, und auch über antimuslimischen Rassismus, Gewalt zu Hause, Gewalt gegenüber Frauen, gerade auch bei den vielen Mädchen*-Gruppen.

Julia: Coming-out ist auch ein Thema.

Selma: Es ist angestrebt, dass wir länger mit den Klassen zusammenarbeiten und es Bildungspartnerschaften gibt. Wir bieten den Schulen z.B. Workshops zu Geschlecht und Schönheitsidealen, Geschlecht und Medien, Hatespeech und Cyber-Mobbing an oder die Schulen kommen auf uns zu. Die Formate finden oft als Projekttage statt. Ich habe gestern zum Beispiel an der Heinrich-Mann-Schule einen Projekttag zum Thema AGB gemacht. Das klingt erstmal trocken, war aber großartig. Die Kids hatten viel dazu zu sagen.

Selma: Gar nicht theoretisch. Unser Hauptziel ist aktive Medienarbeit, kreative Medienarbeit. Wie erstellen oft ein Quiz und wir arbeiten mit Tablets. Beim gestrigen Projekttag sollten die Jugendlichen am Ende ein Plakat erstellen. Das Thema des Plakats war: „Wie stelle ich mir meine AGB vor?“ Da gab es sehr kreative Ideen. Eine Gruppe meinte: „Wenn wir uns bei YouTube registriere, soll YouTube uns ihre AGB einfach in einem kurzen Video zeigen. Das darf höchstens fünf Minuten lang sein, denn länger können wir uns nicht konzentrieren. Außerdem soll es schön bunt sein.“ Die Jugendlichen möchten angesprochen werden. „Warum kann ich nicht durch eine Sprachnachricht informiert werden?“ oder „Ich möchte begrüßt werden…“ waren weitere Beiträge. Wir möchten, dass die Teilnehmer*innen sich auseinandersetzen mit Medien und diese kreativ und kritisch nutzen. Wir versuchen so wenig wie möglich Frontalunterricht zu machen.

Julia: Das sind einige. Auf unserer Internetseite haben wir sämtliche Schulen und Einrichtungen gelistet, mit denen wir kooperieren. Hier ist der Link: https://meko-neukoelln.berlin/netzwerk/

Selma: Das ging mir eigentlich gleich bei meinem ersten Angebot im Mai 2023 so. Es handelte sich um ein Angebot für Mädchen mit Rassismuserfahrung. Ich war überrascht, wie wir es hinbekommen haben, einen Raum zu schaffen, indem die Mädchen ganz offen sprechen konnten. Ein Mädchen erzählte dort, dass sie rassistisch von ihrer Sportlehrerin behandelt wird, weil sie ein Kopftuch trägt. Die Mädchen haben mir auch erzählt, dass sie beispielsweise nicht gerne Hip Hop hören, weil die Musik oft so gewaltvoll ist. Wir haben dann selbst einen Rap geschrieben. Das war ein Moment, wo ich dachte, es macht Sinn, was wir hier machen – was ich hier mache. Wir können ihnen einen sicheren Raum schaffen, indem sie darüber reden können, was sie beschäftigt, und ich bin in der Lage ihnen zu zuhören, zu antworten und ihnen vielleicht auch Wörter zu geben, etwas zu benennen, damit sie sich nicht alles bieten lassen. Wir haben eine gute technische Ausstattung. So können wir mit den Kids auch mal einen Song zu schreiben und vielleicht einen Beat zu produzieren. Nur darüber reden reicht eben manchmal nicht. Es ist gut, eine kreativen Ausdrucksweg mit Medien zu finden.

Julia: Ich habe mal ein Angebot für Mädchen* in einer Einrichtung durchgeführt und da ging es hauptsächlich um Schönheitsideale, Identität, Online-Identität. Wir hatten eine kleine Übung, bei der es darum ging, ein Foto zu schießen und dieses Foto zu nutzen – ohne 20 weitere Fotos hinterher zu schießen und zu schauen, welche Pose die Schönste ist. Es ging um Selbstdarstellung und die Frage, Kann ich das aushalten? Wir haben mit einer Polaroid-Kamera fotografiert und an dem Bild kannst du ja nichts mehr verändern. Es gab acht Teilnehmer*innen. Für zwei Teilnehmer*innen war diese Übung nicht möglich. Das fand ich spannend. Wir haben die beiden aufgebaut und bestärkt und dadurch alle anderen Teinehmer*innen gleich mit. Das ist cool. Was heißt schon Perfektionismus? Dieses Erlebnis hat mir noch einmal mehr gezeigt, wie Social Media, Plakatwerbung, generell sämtliche analoge und digitale Medien unser Medienverhalten lenken und uns einfach ein bestimmtes Bild von Was ist richtig? Was ist schön? vorsetzen. Ausgehend von diesen kleinen Übungen haben wir uns dann überlegt, wir machen jetzt mal unser eigenes Ding. Wir müssen nicht diese Formate bedienen. Wir machen unsere eigenen Schönheitsideale, weil das nun mal sehr, sehr individuell sein kann. Identitätsentwicklung finde ich einen wichtigen Punkt, den wir unterstützen wollen.

Einen anderen, kleineren Moment gab es bei einem Ferienangebot zum Thema Gaming. Ein Drittel der Teilnehmer*innen waren Mädchen und zwei Drittel Jungs. Die Mädchen haben sich selbst positioniert und die Grafiken/das Figurendesign für das Spiel übernommen. Also wie sollte was aufgebaut werden und welche Level sollte es geben. Es war ein fünftägiges Projekt und ich dachte, es wäre schön, wenn wir im Verlauf der fünf Tage die Aufgabenbereiche auch mal tauschen können, damit die Fingerabdrücke aller Teilnehmer*innen in allen Bereichen sichtbar sind. Ich wollte niemanden zwingen oder drängen. Es brauchte zwei Tage bis sie dazu bereit waren darüber nachzudenken. Die Kids mussten mich erstmal kennenlernen und einschätzen lernen, ebenso wie ich sie. Als sie sich dann sicher fühlten, waren es für sie auch machbar die Aufgabenbereiche und Rollen zu tauschen. Wir versuchen bei unserer Arbeit auch die gewohnten Rollenbilder aufzubrechen und zu hinterfragen.

Wir werden bei unserer Arbeit in Neukölln auch immer mal wieder mit trans- und homofeindlichen Aussagen konfrontiert, die manchmal auch religiös begründet sind. Wir arbeiten mit dem geschlechterreflektierenden pädagogischen Ansatz und da crasht es halt immer wieder. Das ist jetzt neulich wieder in einer Einrichtung für Jugendliche passiert, wo wir gemerkt haben, unsere Einstellung ist eine andere als die der Jugendlichen dort. Wir wollen dort aber trotzdem weitermachen, auch und wenn wir nicht die Welt verändern. Vielleicht können wir zumindest Ansätze für eine tolerante Gesellschaft schaffen oder Impulse geben. Ich finde, dies zeigt gut, wie wichtig unsere Arbeit ist – vor allem unser Schwerpunkt. Also nicht nur Medienpädagogik, sondern geschlechterreflektierende Medienpädagogik. Das lässt sich eben nicht trennen, weil Identität, Geschlecht und das soziale Geschlecht sehr viel mit unserem Medienkonsum und unserer Entwicklung zu tun hat.

Gemeinsam mit dem Jugendnetz und den anderen Medienkompetenzzentren in Berlin organisiert das Meko Neukölln außerdem zwei Veranstaltungen für Jugendliche im Jahr. Das sind einmal kurz vor den Sommerferien vom 4.7.-5.7.2024 die JugendMedienDemokratieTage, bei denen es um Demokratieförderung, politische Bildung, politische Teilhabe in Kombination mit digitalen und analogen Medien geht und die JugendMedienKulturTage unter dem Motto ‘Zocken, Tinkern, Tüfteln vom 1.11.-2.11.2024 in den Herbstferien. Weitere Informationen findet ihr dazu unter: https://jugendnetz.berlin/jn/veranstaltungen/

Medienkompetenzzentrum Neukölln
Donaustr. 88A
12043 Berlin


Mehr Informationen und Angebote: https://meko-neukoelln.berlin/ und https://www.instagram.com/meko_neukoelln/