Bericht aus der Nachbarschaft: Eindrücke von der neuen Karl-Marx-Straße

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Altes neues Zentrum – Kiezspaziergang entlang der sanierten Karl-Marx-Straße

Der Quartiersrat und die Aktionsfondsjury – die zwei Beteiligungsgremien des QM – haben Sebastian Naumann von der „Aktion! Karl-Marx-Straße/Sanierungsgebiet“ getroffen, um aus erster Hand Mehr über die Umgestaltung der Karl-Marx-Straße zu erfahren. Nachbarin und Jurymitglied Regina Weber berichtet, wie es war.

Kurz vor Feierabend. Ein Lieferwagen hupt. Grillgeruch liegt in der Luft. Der Himmel über den Dächern schimmert orange. Kaum zu glauben: Nach 15 Jahren Bauzeit wirkt die Karl-Marx-Straße fast friedlich. 25. September. Morgen wird gefeiert.

„Endlich geschafft“, denkt man. Doch am Karl-Marx-Platz stehen noch Bauzäune. Ein Radfahrer klingelt wütend, weil ein Auto die neue Spur blockiert. Der Fahrer hupt, fährt weiter. Alltag im Übergang. Sebastian Naumann lächelt. „Das braucht Zeit.“ Er arbeitet bei der BSG GmbH, die den Bezirk bei der Sanierung unterstützt. Heute führt er den Quartiersrat über die neu gestaltete Straße.

Wir starten am Karl-Marx-Platz, Dreiecksform seit über 100 Jahren. Der historische Platz soll erhalten bleiben, zukünftig aber zum attraktiven Aufenthaltsort für Anwohnende werden. Und zweimal pro Woche den Wochenmarkt beherbergen. Gleichzeitig muss sich Neukölln an die Folgen des Klimawandels anpassen. Hitze, Dürre und Regen fordern die Stadtplanung heraus.

Naumann zeigt auf die Fläche hinter den Bauzäunen. Das alte Pflaster ist schon zur Hälfte weg. “Da kommen Klimasteine hin”, sagt er. Sie funktionieren wie ein Schwamm. Das neue Pflaster speichert Wasser bei Starkregen und kühlt bei Hitze durch Verdunstung. Die helle Oberfläche reflektiert Wärme, heizt sich nicht so stark auf. Dazu Bäume, Bänke und mehr Schatten. Ein kleiner Baustein gegen die Klimakrise.

Die Baustelle selbst war ein Mammutprojekt. Straße neu. Tunneldecke der U7 neu. Leitungen neu. Und dazu das Übliche: Insolvenzen, Gesetzesänderungen, Verzögerungen. Die Karl-Marx-Straße ohne die rot-weißen Bauzäune? Ganze Generationen seien mit der Baustelle groß geworden, hatte Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) vor Kurzem auf Instagram gewitzelt.

Während des Spaziergangs über die abendliche Karl-Marx-Straße wird die Vision greifbar. Breitere Gehwege, Radstreifen, mehr Aufenthaltsqualität. Das Ziel: Die Straße soll wieder ein Zentrum sein, mit Handel, Kultur und Gastronomie.

Am Alfred-Scholz-Platz holt Naumann ein Foto hervor. Breite Straßen, grauer Asphalt, viele Autos. „So sah es bis 2014 aus“, sagt er. Was heute ein lebendiger Stadtplatz ist, war zuvor eine mehrspurige Kreuzung. Schwer vorstellbar beim Blick auf die Sitzgruppen unter Bäumen und die Rixbox voller Gäste.

„Hier liegt auch mein Stein“, sagt Eva, Quartiersrätin und Kiezaktivistin. Sie deutet auf das bunte Pflastermosaik zu ihren Füßen. Das Kunstwerk „Mein Stein“ von Nadia Kaabi-Linke ist mehr als Dekoration. Die verwendeten Steine stammen aus sieben Weltregionen – der Heimat der Neuköllner Bevölkerung. Damals verlegten die Bewohner:innen selbst ihre Steine, ein Akt der partizipativen Stadtgestaltung.

Die „Kalle Halle“ soll neues Leben in die Nachbarschaft bringen. Wo einst das Quelle-Kaufhaus war, gibt es jetzt zwölf Restaurants, zwei Bars und ein Supermarkt im Keller – das ehemalige Kaufhaus wird zum multifunktionalen Zentrum. In den oberen Etagen hat eine Privathochschule ihre Räume, es gibt Coworking-Spaces zu mieten. Der Platz ist belebt, Radfahrer:innen kreuzen das wuselige Feierabendtreiben.

Wir drehen noch eine Runde um den Block. An der Ecke zur Anzengruber Straße halten wir kurz bei der Alten Post. Auch hier verbirgt sich ein besonderer Ort: Das Studio44 ist Tanz- und Tonstudio für die Community. Es kann kostenlos genutzt werden und vor allem Jugendliche sollen hier Austausch rund um Musik und Kultur finden. 

Als die Gruppe am Ende der Tour wieder an der Rixbox steht, ist es dunkel geworden. Leise Musik weht herüber, die Karl-Marx-Straße wird ruhiger. 15 Jahre Bauzeit sind Geschichte – jetzt beginnt die Zukunft des Neuköllner Zentrums.

Regina Weber