Ich werde trotz meines niederländischen Hintergrunds eher als Deutsche wahrgenommen. Wenn ich im Supermarkt bin oder wenn ich mit Menschen spreche, ist es oft erst nach ein paar Sätzen, dass man sagt: „Oh du bist keine Deutsche, aber dein Deutsch ist richtig gut!“. Ich bekomme dann viele Komplimente.
Ich werde trotz meines niederländischen Hintergrunds eher als Deutsche wahrgenommen. Wenn ich im Supermarkt bin oder wenn ich mit Menschen spreche, ist es oft erst nach ein paar Sätzen, dass man sagt: „Oh du bist keine Deutsche, aber dein Deutsch ist richtig gut!“. Ich bekomme dann viele Komplimente.
Ich hatte mal ein Gespräch in der U-Bahn mit einer Frau, die hat sich über Zuwanderer:innen beschwert und da habe ich gesagt: „Entschuldigung, aber ich bin auch keine Deutsche. Ich bin auch Ausländerin“. Und sie meinte dann ganz klar zu mir: „Das zählt nicht“. Das fand ich schon richtig hart. Es öffnete mir auch die Augen dafür, wie rassistisch Menschen sind und wie ich nicht davon betroffen bin. Ich möchte mich also gar nicht als ‚Migrantin‘ identifizieren in dem Sinne. Das fände ich nicht richtig, weil ich keine Rassismuserfahrungen mache, ganz klar.
„Ich würde mir wünschen, dass alle so in der Gesellschaft aufgenommen werden, wie ich aufgenommen wurde.„
2016 habe ich mich bei den Neuköllner Talenten von der Bürgerstiftung Neukölln gemeldet, weil ich dachte: Ich bin jetzt in Berlin, ich bleibe in Berlin, ich möchte mich ehrenamtlich für ein Patenkind einsetzen. Und seit 2016 bin ich mit Youness zusammen, ich bin seine Patin. Eine Patenschaft bei den Neuköllner Talenten läuft offiziell ein Jahr, aber ich wusste schon von Anfang an, wenn das klappt mit dem Kind, würde ich es nicht loslassen. Also sind wir immer noch zusammen, jetzt fast 5 Jahre. Er war 6 als wir angefangen haben. Er war ganz klein, wir haben Kekse gebacken und er hat Ponys gemalt, ganz süß. Inzwischen ist er 11 und ich arbeite (jetzt auch hauptamtlich) als Projektkoordinatorin bei der Bürgerstiftung Neukölln. Es ist schon ein Traum, dass ich an Kinder- und Jugendprojekten arbeiten kann – und in und für Neukölln arbeiten kann.
Ich wohne noch nicht so lange hier in Rixdorf, seit dem 1. April 2020 offiziell. Rixdorf kenne ich aber schon seitdem ich 2013 nach Berlin gezogen bin. Ich glaube, die größte Änderung für mich und mein Erlebnis hier in Rixdorf war, dass der Böhmische Platz vom Verkehr abgeschlossen wurde. Seitdem ist das wirklich ein Begegnungsort geworden, wo alle rumhängen. Ganz viele mögen das und lieben das. Ich liebe das auch. Ich saß da aber mal im vergangenen Sommer, so abends um 22:30 Uhr, und da hat vom dritten Stock jemand einen Eimer mit Wasser runtergeknallt. Dann sieht man auch okay, das ist voll ärgerlich, wenn man hier wohnt und sich der Platz dann so ändert. Auch wenn Leute sich Mühe geben leise zu sprechen: Wenn da 200 Leute rumhängen, ist es trotzdem laut.
Ich denke „Vielfalt und Diversität“ hört sich viel besser an als „Integration“. […] Bei Youtube gibt es eine Doku über die 36 Boys. Das war eine Gang in den 90er Jahren in Kreuzberg, Kreuzberg 36. Das waren türkischstämmige Jungs, die sich zusammengetan haben, um sich zu wehren gegen rassistische Gangs, die sie verprügelten, nachdem die Mauer gefallen war. In der Doku sagt der eine: „Die haben uns nicht gemocht, weil sie fanden, wir sollen uns assimilieren.“ Zurückblickend haben die Jungs dann gesagt: „Aber wir sind hier geboren. Was haben wir uns zu assimilieren? Wir sind hier, wir gehören hier her“. Und das ist natürlich etwas, was man hier ganz viel sieht. Dass Leute als Ausländer:innen wahrgenommen werden, obwohl sie hier geboren wurden.
Mit Youness, meinem Patenkind, spaziere ich auch ganz viel. Und dann gibt es manchmal so Schilder an Stromkästen, und dann gab es einmal ein Schild: „Aufgepasst, Nazis in deinem Kiez“. Plötzlich sagt er: „Was sind Nazis?“. Dann hab ich ein bisschen erklärt, was das so beinhaltet und dann hat er sich Sorgen um MICH gemacht, weil ich ja eine Ausländerin bin. Ich fand es richtig heftig ihm zu erklären: „Also eigentlich geht es mehr um dich, obwohl du einen deutschen Pass hast, einen deutschen Nachnamen und dein Vater deutsch ist. Von den Nazis wirst du aber anders gesehen und nicht ich.“ Das ist richtig heftig. Seine nächste Frage war: „Sind die schnell? Weil ich bin richtig schnell!“. Und dann weißt du wieder, ey du redest mit einem Kind, das hier aufwächst in Neukölln. Ein Kind was sich mit Nazis auseinandersetzen muss, weil er gefährdet ist in dem Sinne. Und dann denk ich: „Ey Gesellschaft, umarme mal die Vielfalt. Was soll das Ausschließen, was soll der Hass?“
Vielen Dank für deine Geschichte, Jet!
Fotos: Christopher Quantrell